Wie fast an jedem Wochenende seit dem judenfeindlichen Pogrom vom 7. Oktober 2023 in Israel veranstalteten am 2. März Initiativen, die dieses Massaker verharmlosen, leugnen oder gar rechtfertigen, einen Aufmarsch in Berlin, bei dem verschiedene Formen von Antisemitismus gegenwärtig waren.

An dem Protestzug mit über 5.000 Teilnehmenden aus dem gesamten Bundesgebiet durch die Berliner Ostcity, der vom Bündnis „Global South United“ organisiert wurde, beteiligten sich vor allem links-antiimperialistische und internationalistische Gruppen sowie Demonstrierende der palästinensischen Community.

Dämonisierung Israels und Relativierung der Shoah

Ramsy Kilani, Mitglied der Partei DIE LINKE

Bereits zu Beginn des Aufzugs wurden verschwörungsideologische antisemitische Codes präsentiert, die darauf abzielten, Israel zu dämonisieren. Ramsy Kilani, Mitglied der Partei DIE LINKE, verbreitete in einem kurzen Statement die Erzählung des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, behauptete, dass der Tod von Zivilisten in Gaza-Stadt, die Lebensmittel von Lastwagen plünderten, ein Massaker an Hungernden gewesen sei. Diese Menschen, „die an Essensständen auf ihre sterbenden Kinder warteten“, seien „von der bestialischen israelischen Armee da hingerichtet“ worden. Mit den Worten „das ist ein Genozid“ und der Parole „stoppt den Genozid“ beendete Kilani, der auch bei „Palästina Spricht“ sowie der Initiative „Sozialismus von Unten“ aktiv ist, sein kurzes Statement. Diese Aussagen reproduzieren die Täter-Opfer-Umkehr, die bezogen auf Israel ein klassisches Merkmal für Antisemitismus darstellt. Das hier verwendete Narrativ ist seit Ende Oktober 2023 bei allen Demonstrationen in Wort und Bild präsent und gehört zu den zentralen Vorwürfen gegen Israel.

Die dämonisierende Täter-Opfer-Umkehr gehörte schon bei der 68er-Generation zum ideologischen Kern der Linken. In einem Bekennerschreiben zu antisemitischen Graffitis und einem glücklicherweise gescheiterten Bombenanschlag am 9. November 1969 auf das jüdische Gemeindehaus in West-Berlin deuteten die Attentäter der Gruppe Tupamaros Westberlin/Schwarze Ratten diese Tat als antifaschistischen Akt um. Den Juden in Israel warfen sie unter Verweis auf deren damalige Politik vor, selbst zu Faschisten geworden zu sein. Damals wie heute lehnten antiimperialistische Linke den jüdischen Staat im Nahen Osten ab und solidarisierten sich mit vor Ort agierenden Mördern, den Fedajin. Auch heute bekämpfen sie, wie es im Pamphlet der Tupamaros heißt, die „enge Verflechtung des zionistischen Israel mit der faschistischen BRD durch konkrete Aktionen“ und setzen zugleich Israel mit dem nationalsozialistischen Deutschland gleich. Und schon damals gab es den Vorwurf, Israel begehe einen Völkermord an den Palästinensern. Im Bekennerschreiben von 1969 heißt es: “Aus den vom Faschismus vertriebenen Juden sind selbst Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen.”

Der Vorwurf eines durch Israel verübten Genozids an den Palästinensern geht nicht selten einher mit einer Relativierung der Shoah. So auch hier. „Die wollen nicht, dass wir es Genozid nennen“, tönte die Stimme jungen einer Frau aus dem Lautsprecher bei der Zwischenkundgebung auf der Leipziger Straße. Zwei Sätze weiter verstieg sich die Rednerin in der Behauptung, für „Deutsche ist es schwierig, zwei Genozide zu verantworten“. Um es klar zu sagen: Hier wurde behauptet, dass der geplante und industriell ausgeführte millionenfache Massenmord an Jüdinnen und Juden sowie anderen Opfergruppen vergleichbar ist mit dem derzeitigen Sterben von tausenden Zivilisten im Gazastreifen. Nein, diese Gleichsetzung ist eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus, eine Relativierung dieses Verbrechens und gleichzeitig eine Instrumentalisierung der vielen Toten im Gazastreifen.

Werbung für Hamas, PFLP und der “Intifada”

Obwohl die Polizei das Werben für palästinensische Terrororganisationen verboten hatte, war dies im Protestzug zu sehen. Zwei Teilnehmer hatten scheinbar ohne erkennbaren Kontext ein rotes Dreieck mit der Spitze nach unten auf ihr Plakat gemalt. In Videos und auf Fotos nutzen die Islamisten der Hamas rote Dreiecke zur Markierung feindlicher Ziele im Kampf gegen Israel. Ähnlich wie das „Z“ als Zeichen der Rückendeckung für den russischen Angriffskrieg gelten rote Dreiecke bei Sympathisierenden der Hamas als Verbundenheitsbeweis mit deren antijüdischem Mordfeldzug.

Auch das Konterfei von Leila Chaled mit geschultertem Gewehr war auf einem Transparent der Internationalen Jugend zu sehen. Innerhalb der links-antiimperialistischen Szene wird Chaled, Mitglied der terroristischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), als weibliche Che Guevara aus Palästina betrachtet. Als junge Frau war Leila Chaled schwer bewaffnet an zwei Flugzeugentführungen beteiligt. Glücklicherweise kam bei der zweiten Entführung im Jahr 1970 kein Passagier körperlich zu Schaden, da die von ihr mitgeführten Handgranaten trotz Entsicherung nicht zündeten.

Ohne explizit eine der antijüdischen Organisationen im Nahen Osten zu erwähnen, die die vom Iran initiiere “Achse des Widerstands” zur Auslöschung Israels bilden, wurde auf einem Transparent und in Redebeiträgen die Unterstützung und Rechtfertigung für deren Handeln deutlich. So stimmte mit dem Verweis auf vorangegangenen Terror gegen Zivilisten in Israel, die als erste und zweite Intifada bekannt wurden, ein Teilnehmer vom Lautsprecherwagen die Slogans “There is only one solution, Intifada revolution!” und “Viva, viva Intifada!” an.

Ein anderer Redner betonte: „Palästina ist kein Trend. Palästina ist eine lebenslange Verpflichtung bis zur Befreiung!“ Viele verstehen unter „Befreiung“ den “Widerstand bis zur Rückgewinnung, Widerstand bis zur vollständigen Befreiung” von Palästina, wie es eine Demonstrantin formulierte. Dieses Palästina beschreibt eine Region, die vor 1948 existierte, also vor der Staatsgründung Israels. Diese Klarheit in der Ablehnung Israels als unabhängiger Staat legt nahe, ein nicht unbeträchtlicher Teil der Demonstrierenden lassen sich als der propagandistische Arm des iranischen Mullah-Regimes charakterisieren.

Antizionismus der Linken – gestern und heute

Antisemitischer Antizionismus und seit spätestens Ende der 1960er Jahre auch israelbezogener Antisemitismus haben innerhalb der dogmatischen linken Szene eine unrühmliche Tradition, wie hier oben schon erwähnt wurde. An diese Tradition gewisser Weise anknüpfend, ihn zu dämonisieren und delegitimieren, äußerte sich eine Rednerin auf einer Demonstration in Berlin folgendermaßen: „Zionismus ist eine Krankheit. Deswegen muss der Zionismus abgeschafft werden. Zionismus, Zionismus ist Terrorismus!“ Dagegen etwas zu unternehmen, sei Selbstverteidigung, ergänzte sie und sprach so eine Unterstützung für islamistische Attentäter aus.

Bereits vor 1933 entsprach der Antizionismus der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) dem Muster des israelbezogenen Antisemitismus heute, wie der Historiker und Philosoph Olaf Kistenmacher in seinem Aufsatz „Zu den Ursprüngen des linken Antizionismus und Israelhasses“ feststellt.[1] Kistenmacher betont, dass dieser Antizionismus der KPD zur Zeit der Weimarer Republik in einem Kontext stand, in dem „jüdisches Kapital“ für den Aufstieg des Faschismus mitverantwortlich gemacht wurde. Dass es, wie bei anderen Bewegungen, im Zionismus verschiedene Strömungen gab, spielte für die Bewertung innerhalb der KPD kaum eine Rolle. Grundsätzlich, schreibt Olaf Kistenmacher, sprach sie dem Zionismus jegliche Berechtigung ab, […] beurteilte die jüdischen Nationalbewegungen nach ganz anderen Maßstäben als andere Nationalbewegungen, und […] dämonisierte das, was sie als „Zionismus“ bezeichnete. Das gipfelte bereits 1932 in der Gleichsetzung von Zionismus und Nationalsozialismus.”

Eine ähnliche Diffamierung zeigt sich aktuell auf den Demonstrationen mit Palästina-Bezug, wenn auf Plakaten zu lesen ist “Zionismus tötet” oder “Zionisten sind Faschisten, morden Kinder und Zivilisten” skandiert wird.

Trotz gegenteiliger Beteuerungen der Veranstalter zeigte dieser Aufmarsch erneut, dass die Dämonisierung und Delegitimierung Israels und des Zionismus zum Grundkonsens der mittlerweile eingeschworenen Gemeinschaft gehören. Antisemitismus ist die Klammer, die linke antiimperialistische, palästinensisch nationalistische und fundamentalistisch islamistische Gruppen und Organisationen verbindet. Das zeigte sich bei dieser und zahlreichen vorangegangenen Protestveranstaltungen, die allesamt dadurch auffielen, dass das judenfeindliche Pogrom vom 7. Oktober 2023 absolut kein Thema war.